Forsa-Chef Manfred Güllner adelte die Piraten bereits als Volkspartei. So unrecht hat er damit nicht. Wenn man die liberalen Parteien als Ganzes betrachtet. Bevor ich das weiter ausführen möchte, sollten jedoch die fraglichen Begriffe näher definiert werden.
Am problematischsten, weil von der FDP in Verruch gebracht, ist sicherlich der Begriff "liberal". Dabei bedeutet Liberalismus eine freiheitliche politische, ökonomische und soziale Ordnung, ist also ein mehrdimensionaler Freiheitsbegriff. Durch die FDP wurde der Liberalismus jedoch häufig (sowohl freiwillig als auch unfreiwillig) auf die ökonomische Dimension beschränkt und sie hat es hier in einer Gemeinschaftsarbeit sogar geschafft, den Wirtschaftsliberalismus auf Neoliberalismus zu beschränken und dieses zu einem Schimpfwort zu degenerieren.
Zentral in allen liberalen Ausrichtungen ist jedoch wohl v.a. die Sicherung und Stärkung der Grundrechte der Bürger gegen den Versuch ihrer Beschneidung und Einschränkung durch private oder staatliche Institutionen. Es kann nicht Sinn und Zweck der staatlichen Gesetzgebung sein, die Grenzen und Dimensionen der Grundrechte, die bspw. das Grundgesetz festlegt, durch das Verfassungsgericht austaxieren zu lassen, wie es CDU/CSU und SPD (leider auch unter Mithilfe der Grünen und der FDP aus falsch verstandener Koalitionstreue) versuchen.
Diese pluralistische Ausrichtung des Liberalismus und damit die Öffnung für alle gesellschaftlichen Schichten ist ein - wenn nicht das - Kennzeichen einer Volkspartei. Zumindest, wenn man die beiden liberalen Parteien FDP und Grüne sowie die neu hinzugekommenen Piraten zusammenfasst. Daneben wird häufig argumentiert, dass eine Volkspartei nicht nur breite Wählerschichten sondern auch quantitativ viele Wähler anzieht. Wenn man jedoch die SPD mit ihren seit längerer Zeit 25-30 % Wählergunst noch als Volkspartei bezeichnen möchte, so muss man dies auch den drei liberalen Parteien in der Summe zugestehen.
Projektion "liberale" Parteien seit 1991. Eigene Darstellung, Datenquelle: Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer
Seit dem großen Kartell aus CDU/CSU und SPD hat sich das Lager der liberalen Parteien von bis dahin etwa 10-15 % auf 20-25% gesteigert. Etwa im gleichen Maße haben die "etablierten Volksparteien" ihr Niveau von über 75% auf unter 65% verringert.
Projektion "Volksparteien" seit 1991. Eigene Darstellung, Datenquelle: Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer
Was sich seit dieser Abwanderung von etwa 10% der Wähler - angewidert von den beiden Volksparteien und ihrer Schleifung der Grundrechte und der repräsentativen Demokratie - hin zu den "liberalen" Parteien zeigt, ist, dass es bei Veränderungen der Zustimmung der liberalen Parteien fast ausschließlich zu Wählerwanderungen zwischen ihnen kommt (im übrigen ähnlich zu der Zeit vor 2005 auf niedrigerem Niveau). Der Aufstieg der Grünen seit 2010 ging auf Kosten der FDP - die nicht verstanden haben, dass sie nicht wegen Steuersenkungen gewählt wurden - und der Hype der Piraten geht nun nahezu ausschließlich zu Lasten der Grünen.
Es wird sich zeigen, ob eine der drei Parteien (endlich einmal) die Erwartungen der Wähler an eine liberale Politik (die sich wirklich an den Bürgerrechten orientiert) erfüllen kann. Dann wird sich zeigen, ob sie das augenblickliche Potential von 25% auf sich vereinigen kann. Das Potential für eine dritte große Kraft neben Union und SPD wäre da...