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Das Leistungsschutzrecht der Verlage aus ökonomischer Sicht [Update #2]

Der Koalitionsausschuss hat ein Leistungsschutzrecht (LSR) für Verlage beschlossen. So weit so gut schlecht. Betrachten wir doch mal diese angebliche neue Geldquelle aus ökonomischer Sicht. Hierbei soll es nicht darum gehen, ob das LSR aus wirtschaftlicher Sicht gerechtfertigt oder nötig ist, und erst Recht nicht darum, ob es juristisch haltbar ist. Für den weiteren Verlauf können wir ruhig annehmen, dass das LSR sowohl wirtschaftlich gerechtfertigt als auch juristisch nicht anfechtbar ist. Auch die genaue Ausgestaltung des LSR ist für die Analyse der ökonomischen Auswirkungen bzw. Anreize nicht kriegsentscheidend, ob nur Google oder auch bspw. Blogs zur Kasse gebeten werden sollen. Der Einfachheit halber konzentriere ich mich auf eine reine "lex Google", eine Ausweitung würde die die getroffenen Ergebnisse lediglich verstärken. Die Analyse ist übrigens nahezu vollständig auf die analoge Zeitungswelt übertragbar.

Durch das LSR soll Google verpflichtet werden, für die Indexierung und Verlinkung von Inhalten der Verlage Geld zu zahlen. (In die analoge Zeitungswelt übersetzt: Ein Kioskbesitzer soll für den Zeitungsaufsteller, der die heutigen Schlagzeilen der Zeitung XY anpreist, damit diese verkauft wird und dem Verlag der Zeitung XY Umsatz und Auflage beschert, bezahlen.) Was wird der "Kioskbesitzer" Google wohl aller Voraussicht nach tun? Er wird den Zeitungsaufsteller, sprich Indexierung, entfernen. Im Gegensatz zur Noch-Situation ohne LSR könnte man Google nicht einmal mit dem Wettbewerbsrecht kommen, dass sie ihre Quasi-Monopolstellung ausnutzen, denn das LSR verlangt ja nach einer Wahlmöglichkeit: Indexierung mit Bezahlung oder keine Indexierung. Diese ökonomische Freiheit muss in diesem Falle Google zugestanden werden (niemand kann gezwungen werden eine Leistung zu erbringen, wenn er für diese Leistung auch noch extra bezahlen soll).

Durch die nun fehlende Indexierung und Verlinkung durch Google (und Blogs etc. im erweiterten Modell) werden den Verlagen bzw. den Onlineangeboten ihrer Zeitungen Leser verloren gehen. Wer nach "Koalitionsausschuss und Leistungsschutzrecht" googelt, der wird nun nicht mehr bei der FAZ, beim Spiegel oder der Blöd landen, sondern beim IGEL oder bei netzpolitik.org. Obwohl die Leser eh nichts für die Angebote der Onlineausgaben der Zeitungen zahlen, wird es nun interessant:

Wir müssen nun zwei Besonderheiten beachten: Zum einen haben wir es hier (bei der (Online-)Zeitung) mit einem sog. zweiseitigen Markt zu tun, zum anderen kommen indirekte Netzeffekte zum Tragen. Um zweiseitige Märkte handelt es ich dann, wenn ein Intermediär (hier: Zeitung) zwei Marktseiten (hier: Leser und Werbetreibende) bedient. Von Netzeffekten (synonym: Netzwerkeffekte, Netzwerkexternalität) spricht man, wenn der Nutzen/ die Zahlungsbereitschaft von der Größe des Netzwerks abhängt. Hier hängt die Zahlungsbereitschaft jedoch nicht von der Größe des "eigenen" Netzwerks ab (meine Zahlungsbereitschaft für eine Zeitung ändert sich nicht durch die Anzahl weiterer Leser), sondern von der Größe des Netzwerks auf der anderen Seite des Marktes (der Werbetreibende wird für eine Anzeige mehr bezahlen je höher die Anzahl der Leser=Käufer der Zeitung ist) ab. (Einen guten Einstieg in beide Materien bietet bspw. neunetz.com, noch "ökonomischer", aber zielgerichtet am Bsp. des Zeitungs(-monopol-)marktes erläutert hat dies bspw. Ralf Dewenter (pdf); ein berühmteres Bsp. für indirekte Netzeffekte in zweiseitigen Märkten sind Kreditkartenmärkte.)

Fehlende Leser einer Zeitung führen nun dazu, dass die Werbeeinnahmen für die Zeitung sinken. Und dies ist die Haupteinnahmequelle einer Zeitung (der Verkaufspreis einer analogen Zeitung dient hauptsächlich nur der Deckung der Druck- und Vertriebskosten, jedoch nicht der Generierung von Inhalten). Fehlende Werbeeinnahmen führen wiederum zu einem qualitativ und/oder quantitativ verringertem inhaltlichen Angebot einer Zeitung und damit zu einer verringerten Zahlungsbereitschaft und dadurch (weiter) zurückgehenden Nachfrage nach Zeitungen. Und der Teufelskreis beginnt von vorne.

Zwischenfazit: Die Verlage können durch ein LSR nichts gewinnen. Ganz im Gegenteil die prekäre Erlössituation wird sich weiter verschärfen. (Übrigens ein ernstgemeinter Hinweis an die Gewerkschaften, die fleißig für ein LSR trommeln: Das LSR erhält nicht, sondern gefährdet Arbeitsplätze, wie wir bis hierhin zeigen konnten.)

Hier ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Denn nun kommt die individuelle Anreizsituation hinzu. Und diese verstärkt die Position von Google. Man könnte ja meinen, warum sollte Google auf die Indexierung der Zeitungen verzichten. Schließlich bringt auch Google die umfassende Indexierung Werbeeinnahmen. Nun, hier kommt Google die "Spieltheorie" zu Hilfe. Und wenn Google einen guten Ökonomen als Berater haben (und den haben sie), werden sie dies antizipieren.

Durch die verringerte Leserschaft und die damit verringerten Werbeeinnahmen (s.o.) könnte ein Verlag (wahrscheinlich zunächst ein kleiner) nun auf die Idee kommen, aus dem "LSR-Kartell" auszuscheren. D.h. mit Goggle eine Vereinbarung zu treffen, dass durch eine Re-Indexierung auf das LSR verzichtet würde. Dies würde dieser Zeitung nun ungeahnte Leserströme zukommen lassen, da sie die einzige ist, auf die man durch Google stößt. Durch die dadurch verursachte Verschiebung des Leser- und Werbekuchens zu dieser "Anti-LSR" Zeitung ist es für die anderen Zeitungen ebenfalls lohnend aus dem LSR-Kartell auszubrechen. Sollten auch sie einen guten "Chefökonomen" (also nicht Christoph Käse) haben, so wird dieser ihnen raten, der aufmüpfigen "Anti-LSR" Zeitung zuvorzukommen (weil er dieses Verhalten antizipiert) und selber aus dem LSR-Kartell auszubrechen. Wir haben es hier also mit einem klassischen Gefangenendilemma zu tun. Dieses Dilema ist übrigens auch dafür verantwortlich, das Kartelle häufig nicht (dauerhaft) stabil sind. Ein Kartellbruder wird ausbrechen (und die anderen "verpetzen").

Fazit: Nicht nur die indirekten Netzeffekte in zweiseitigen Märkten, sondern auch das gute alte Gefangenendilemma werden dafür sorgen, dass das LSR über kurz oder lang nicht zur Anwendung kommt. Diejenigen, die darauf (dauerhaft) setzen, werden in der Konsequenz sogar kurzfristig aus dem Markt ausscheiden. Das LSR kann für die Verlage demnach kein Erfolg werden. Durch das LSR können die Verlage nur verlieren und den sich abzeichnenden Trend durch das Verharren auf alte vermeintliche Erfolgsmodelle sogar noch verstärken. Das LSR wird für diejenigen Verlage und Zeitungen, die darauf vertrauen, zu einem noch schnelleren Exodus führen.

Die Lösung für Verlage und Zeitungen ist nicht ein wirkungsloses LSR, sondern ein tragfähiges Geschäftsmodell im Internet. Und hierbei können sie sich durchaus bei der analogen Welt der Zeitungen und Zeitschriften bedienen: Was macht ein Printexemplar lesenswert? Die Exklusivität und Selektion der Nachrichten, nicht die Beliebigkeit.

Update: Marcel Weiß auf neunetz.com weist darauf hin, dass die obige Analyse des Gefangenendilemmas nur gilt, falls das LSR keine Zwangsmitgliedschaft für alle Presseverlage impliziert. Das ist jedoch nicht ganz korrekt: Meine Analyse gilt auch, wenn es einen Zwang zum LSR geben sollte. Analog zu Patrick Breitenbachs Schlussfolgerung könnte es ausländische Gründungen von Verlagen geben um das deutsche LSR zu umgehen. Auch eine Ausgliederung des Onlineangebots aus dem Verlag wäre möglich und dieses bsp. als privat-gewerblichen "Blog" zu betreiben bis hin zu Kooperationen mit privaten Radio- oder TV-Stationen wäre denkbar. Der Kreativität sind da ja keine Grenzen gesetzt...

Update: Das LSR ist nun (März 2013) durch den Bundestag gewunken worden. Ob es vom Bundesrat noch entscheidend verzögert wird darf bezweifelt werden. Aber das von mir beschriebene Gefangenendilemma schlägt schon seit längerem zu: mediainfo.de hat eine Liste von Seiten (Presse und Blogs) veröffentlicht, die auf das Leistungsschutzrecht verzichten. RA Schwenke hat darüberhinaus eine untechnische FAQ zum LSR veröffentlicht.

Maik Hetmank: