Die Plagiatsfälle von Guttenplag & Co. haben auch eine gute Seite: die wissenschaftliche Redlichkeit rückt stärker in den Vordergrund. PlagiatsjägerInnen und v.a. -aufklärerInnen, wie Debora Weber-Wulff, fristeten lange Zeit ein Schattendasein in der öffentlichen Wahrnehmung. Auch in der Diskussion mit den StudentInnen kam ich mir oft nicht ernst genommen vor. In zwei Wochen haben wir das erste Post-Guttenplag Seminar; hach, was freu' ich mich drauf.
Hoffentlich - aufgeschreckt durch Guttenberg & Co. - werden da die Fragen nach dem richtigen Zitieren bohrender werden. Umso wichtiger, dass man sich - angesichts der vielen unterschiedlichen Formalanforderungen - auf einen kleinen gemeinsamen Nenner einigt.
Einer dieser Nenner ist u.a. die Abgrenzung von direkten und indirekten Zitaten. Wie jedoch z.B. die (indirekten) Zitate zitiert werden müssen bzw. sollen, da scheiden sich schon die Geister. Von Kurz- und Vollbeleg, Fußnoten- oder Harvard-Zitierweise, mit oder ohne vgl. ist alles dabei, was das Herz begehrt. Jeder Jeck is halt anders.
Etwas Schockiert war ich allerdings von der Äußerung des Herrn Jura-Professor Wolfgang Löwer in der Zeit: "Vergleiche? Belege!"
DIE ZEIT: Warum reicht dann die Formulierung "Vergleiche Professor X" nicht aus?
Löwer: Weil diese Formulierung nichts erklärt. "Vergleiche" heißt: Lieber Leser, du kannst bei Professor X Weiteres zum Thema lesen. Wenn meine Studenten in einer juristischen Prüfungsarbeit "Vergleiche" schreiben, notiere ich am Rand immer: "Warum geben Sie mir Leseempfehlungen? Ich möchte Belege."
Mal abgesehen von der Lapalie, dass der "Professor", da er kein Namensbestandteil ist, nicht mitzitiert wird. Ansonsten würde die Arbeit eher in eine Recherche der richtigen Titel der Autoren ausarten und der Herr Löwer wäre am Ende noch beleidigt, wenn man bei ihm als einzigen den Titel vergessen oder vlt. schlimmer ihn "nur" als "Dr." bezeichnen würde. Des weiteren werden relevante Quellen nicht nur von Professoren verfasst, aber ich schweife ab.
Ein "vgl." jedoch als lapidare "Leseempfehlung" zu diskreditieren geht deutlich zu weit und ist allenfalls noch nicht einmal eine Mindermeinung. So etwas kann man wohl in keiner Lektüre zum wissenschaftlichen Arbeiten nachlesen, zumindest bleibt Her Löwer eine/-n Leseempfehlung Beleg für seine Mindermeinung Einzelmeinung schuldig. Vgl. zum "vgl." als Beleg hingegen Balzert et al. oder Wikipedia.
Allein schon im Wortsinn "vergleichen" ist nicht die Deutung einer weiterführenden Leseempfehlung zu verstehen. Vergleichen heißt Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausfinden, in der wissenschaftlichen Arbeit eben, dass dieser Gedankengang sinngemäß bei Professor X zu finden ist.
Weiterführende Leseempfehlungen werden demnach auch mit "vgl. weiterführend; vgl. ähnlich; vgl. auch; vgl. ausführlicher" o.ä. abgegrenzt.
Um eins klar zustellen: Ob man bei indirekten Zitaten auf das "vgl." besteht, bleibt (fast) jedem selbst überlassen. Es gibt Verlage, Zeitschriften, Fakultäten, Professoren, ... die auf das "vgl." verzichten. Für diese liegt der Unterschied zwischen direktem und indirektem Zitat alleinig in den Anführungszeichen. Das ist O.K. Ein "vgl." ist deswegen jedoch kein Schwachsinn, sondern allenfalls eine Konvention des Lehrstuhls o.a., wie eben auch die Zitierweise in Fußnoten oder nach Harvard, der Voll- oder Kurzbeleg eine Konvention sind, die jeder "Verantwortliche" festlegen kann. Es ist in jedem Fall aber ein Beleg! Ein "vgl." (ohne die obigen weiterführenden Zusätze) bedeutet in einem wissenschaftlichen Aufsatz immer, dass dieser Gedankengang dem X entlehnt ist, sich also dort (=Beleg) wiederfinden lässt.
Der regulatorische Verzicht auf das "vgl." ist eine Regel, nicht mehr und nicht weniger. Keinesfalls ist nur eines "richtig" und alles andere "falsch". Das ist wie fast allem im Leben. Andernfalls bräuchten wir auch keine Gerichte und erst recht keine Jura-Professoren.
Für Studierende und PromovendInnen kann ich deshalb nur eine Empfehlung abgeben: Schaut auf die formalen Anforderungen der Fakultät und des Lehrstuhls/Betreuers, ignoriert aber in jedem Fall Herrn Professor Löwer.
Zum Schluss: Dass ich mich über die Äußerungen des Professors aus Bonn (Abt. Wissenschaftsrecht [sic!]) so aufrege, mag vielleicht verwundern. Wenn man aber weiß, dass wir als Betreuer diesen Schwachsinn (ja, das ist es) ausbaden müssen, dann kann man das hoffentlich verstehen. Wir reden uns den Mund dumm, dämlich und fusselig und dann kommt da ein Bonner Professor dahergelaufen und sagt, das sei alles Schwachsinn, grottenfalsch und überhaupt. Das darf es gerne sein, an seinem Lehrstuhl. Was soll ich aber einem/r Studenten/in sagen, die ein Kauderwelsch an Zitierweisen präsentieren und sich dann auf den Herrn Professor Löwer beziehen...?