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Die Altendorfer Hotelling-Döner-Straße

Ökonomische Modelle sind ja meist "abstrakt" und fern ab der Realität. Dabei muss man sich nur die richtigen "Ausschnitte" der Realität suchen. Da gibt es z.B. das Hotelling-Modell, welches man an vielen Ecken und Enden zentralen Lagen beobachten kann. Da knubbeln sich Tankstellen an einer Kreuzung oder reihen sich Drogeriemärkte oder Optiker wie an einer Perlenkette eine Straße entlang. Abseits dieser Zentren sucht man die entsprechenden Läden meist vergeblich. Etwas ähnliches haben wir hier in Essen-Altendorf quasi vor der Tür: Das Altendorfer Döner-Zentrum.

Als wir vor ca. sechs Jahren hierher gezogen waren, gab es schon 4 Döner Läden auf ca. 150 m. Damals war sogar Döner-Krieg, den gab es nämlich für 1 Euro. Allerdings war das Sortiment sehr eingeschränkt, zur Auswahl standen Döner, Döner und Döner (nur Kalb, kein Hähnchen, kein Falaffel ...). Das musste man nicht unbedingt mit dem alten Hotelling erklären, da konnte man auch den noch älteren Bertrand heranziehen: Sind die Güter sehr homogen (gleichartig) und konkurrieren diese über die Preise (sowie einiger weiterer Annahmen), kaufen die Konsumenten nur beim günstigsten Anbieter und dadurch unterbieten sie sich bis der Preis den Grenzkosten entspricht. Dies ist auch das Ergebnis der vollständigen Konkurrenz, einem wirtschafts- und wettbewerbspolitischen "Idealbild". Dass sich das Marktergebnis der vollständigen Konkurrenz nicht nur bei sehr vielen Anbietern, sondern auch bei sehr wenigen (Oligopol) einstellt, wird auch als Bertrand-Paradoxon bezeichnet.

Die herrliche Dönerzeit (während des Umzugs und (noch) ohne Küche, kam der Preiskampf für uns nicht ganz ungelegen, zumal in dessen Folge auch die Pizza für 1,70 Euro erstanden werden konnte) war jedoch als bald vorbei und mittlerweile muss man wieder branchenübliche(?) 2,50 Euro hinblättern. Aber auch hierfür gibt es eine (spieltheoretische) Erklärung: Die Anbieter treffen ja nicht nur einmalig aufeinander, wie es im Bertrand-Modell angenommen wird, sondern wiederholt. Wird also der Wettbewerb unendlich oft wiederholt oder ist das Ende zumindest unbekannt, so kann es für die Konkurrenten lohnend sein, sich nicht durch harten Wettbewerb gegenseitig die Gewinne streitig zu machen. Ein Abweichen von der Kooperation wird in der Folgezeit bestraft (so sind wir wahrscheinlich auf 1 Euro für den Döner gekommen), hält man sich an die "Absprache" werden auch die Konkurrenten mit Wohlwollen reagieren. Das nennt man dann tit for tat- oder Trigger-Strategie Da kann man sogar noch ausrechnen, für welche Zinssätze sich Kooperation lohnt, oftmals genügt aber schon die einfache Erklärung zumal die kritischen Zinssätze häufig exorbitant hoch sind, so dass sich Kooperation immer lohnt.

Und nun kommen wir zu unserer Hotelling-Straße in Essen-Altendorf. Denn nun kommt auch noch Produktdifferenzierung hinzu. Zunächst wurde die Produktpalette um oben vermisste Hähnchen-Döner oder Falaffel erweitert. Dann machte (vor etwa zwei Jahren) ein 5ter Dönerladen auf. Dieser differenzierte sich aber noch weiter heraus und nennt sich Ocakbasi (Holzkohlegrill). Anscheinend lief dieser Dönerladen Ocakbasi so gut, dass die Konkurrenz von schräg gegenüber (Nr. 2 in der Zeichnung unten) vor etwa einem Jahr auch auf Holzkohle umbaute. Tja, und ihr werdet es kaum glauben, demnächst macht auch noch eine 6te Dönerbude (wieder Ocakbasi) auf. Auf 300 m zwischen unserer Wohnung (bei 6) und dem Haltestellenkreuz Helenenstr. (bei 3) tummeln sich nun insgesamt sechs Döner-Verkäufer, jeweils drei Döner-Schnellimbisse (grau) und drei Ocakbasi (gelb). 

Das Hotelling-Modell erklärt nun einerseits, dass es für die Anbieter rational sein kann ihre Produkte sehr ähnlich zu gestalten und andererseits sich auch noch gegenseitig auf die Pelle zu rücken. In einer Kritik am Hotelling-Modell konnte jedoch auch gezeigt werden, dass Firmen einen Anreiz haben könnten sich voneinander abzugrenzen, sich zu differenzieren. Dies erleben wir hier in Altendorf alles gerade hautnah: Differenzierung durch Ocakbasis, einen "Döner-Knubbel" in der Mitte unserer "Döner-Straße" und mittlerweile wieder Annäherung durch eine Tendenz zu Ocakbasis. Allein der Platzmangel der drei verbliebenen Dönerläden (1, 3 und 4) wird verhindern, dass diese auch zu Ocakbasis aufsteigen. Ersatzweise wird nun ein neuer Laden (6) aufgemacht. Ob der Besitzer ein alter Bekannter ist (bei 1 und 2 wechselten vor kurzem die Besitzer)?

PS: Das Hotelling-Modell kann man auch an anderer Stelle beobachten: Die Suche der Parteien nach der "Mitte" entspringt auch diesem Modell. Es kann (zumindest in einem Zweiparteiensystem) gezeigt werden, dass die Wahlen in der Mitte gewonnen werden und dass sich deswegen die Parteien immer mehr annähern und kaum noch voneinander unterscheiden. Die Theorie dahinter ist das Modell des Medianwählers.

Maik Hetmank: